Dienstag, 27. Oktober 2009

Die Mutter, die ich mal sein wollte

Heute waren wir im Supermarkt und ich ertappte mich dabei, wie ich dem kleinen Autofanatiker, der sich nicht vom Spielzeugregal wegbewegen wollte, das Ultimatum stellte: "Wenn du jetzt nicht sofort kommst, wird dir der Weihnachtsmann in diesem Jahr wohl keine Geschenke bringen." Und dann schlug ich mir erschrocken die Hand vor den Mund. War ich etwa eine von diesen Müttern geworden, die ich nie hatte werden wollen? Niemals hatte ich meinem Kind mit dem Weihnachtsmann drohen wollen. Meine Kinder sollten überhaupt auch nie an den Weihnachtsmann glauben (Tun sie auch nicht. Der kleine Autofanatiker antwortete auf die Frage, ob er denn einen Wunschzettel an den Weihnachtsmann schreiben würde: "Nein, das sage ich dem Papa. Der kauft das."). Und ganz gewiss wollte ich ihnen nie damit drohen.
Nie wollte ich das machen, hatte ich mir vorgenommen, damals, als ich noch noch keine Mutter war oder gerade erst ein kleines Baby vor mir hatte. Aber dreieinhalb Jahre und zwei kleine Jungs später, muss ich mir eingestehen, von einigen der Ideale musste ich mich verabschieden.
Hier kommt eine kleine Liste der Dinge, die ich als Mutter nie machen wollte - und dann doch gemacht habe.
1. Kleinere Notlügen - niemals wollte ich meinen Kindern Lügen auftischen. Immer wollte ich ihnen alles genau erklären und sie niemals mit einer kleinen Lüge betrügen. Eigentlich stehe ich auch nach wie vor dazu, aber manchmal, ja manchmal, da rutscht einem eben so eine Lüge über die Lippen. Kürzlich zum Beispiel sortierten wir kaputte Spielautos aus. "Wo sind die denn jetzt?" fragte der kleine Autofanatiker. "'Ähm, ich habe die mal eben, ähm, weggeräumt." sagte ich, nicht ohne schamrot anzulaufen, denn schließlich wusste ich, dass ich sie in den Müll geworfen hatte in der Gewissheit, dass der kleine Autofanatiker am nächsten Tag schon nicht mehr danach fragen würde.
2. Trotzanfälle - immer wollte ich ganz ruhig bleiben, wenn denn mein Kind wirklich einmal einen Trotzanfall bekommen würde. Nie würde ich mich von dem Heulen und Schreien erpressen lassen, sondern ganz gelassen reagieren und den Anfall einfach ignorieren. Ich lasse mich zwar wirklich selten von Schreianfällen erpressen, aber ruhig bleiben? Nein, das kann ich nicht immer. Besonders wenn ich müde bin nach einer schlechten Nacht, weil beide Kinder wach gewesen sind. Dann schreie ich auch mal zurück. Stolz bin ich darauf nicht, aber besser fühle ich mich danach eigentlich schon irgendwie.
3. Töpfchen - als ich mit dem kleinen Autofanatiker schwanger war, kaufte ich mir ein Buch, in dem man mit dem Training zum Sauber werden bereits mit 15 Lebenstagen beginnen sollte. Toll, dachte ich, das mache ich. Mit allerspätestens einem Jahr braucht das Kind keine Windel mehr. Tja, den 3. Geburtstag feierten wir immer noch mit Windel, Tag und Nacht. Und als ich mir dann schon Gedanken machte, wie ich denn in der Schule dann immer die Windeln wechseln sollte, hatte sich der kleine Autofanatiker entschlossen, dass er die Windel nicht mehr brauchte und eine Woche später waren wir die Windeln los, Tag und Nacht. Da konnte ich mir noch so viel vornehmen als Mutter, am Ende musste er es selbst wollen.
4. Bestechung - niemals würde ich meine Kinder bestechen. Soll man ja auch nicht. Steht in jedem Erziehungsratgeber. Und ich würde das auch nicht müssen, schließlich würde ich mit meinen Kindern argumentieren. Aber was soll man machen, wenn man zum Beispiel ein Photo für die Weihnachtskarte machen möchte und das Kind möchte einfach nicht mitmachen? Schokolade kann da wahre Wunder wirken. Ja, knallharte Bestechung, ich gebe es zu. Und wenn der kleine Autofanatiker in Zukunft für alles eine Gegenleistung erwartet, dann muss ich mich vielleicht nicht wundern. Aber bis jetzt scheint er gelegentliche Bestechungsversuche schadlos überstanden zu haben.
5. Schokolade, Fernsehen und andere Genussmittel (aus der Süßwarenabteilung und nicht etwa dem Spirituosenregal!) - Schokolade sollte er erst mit 18 kennenlernen, Gummibärchen ebenso und Fernsehen erst recht. Das erste Weihnachtsfest hatten wir gut überstanden, aber dann mit 11 Monaten, zum ersten Ostern, gab es ein Stück Schokolade und von da an ging es eigentlich nur noch bergabwärts. Goldbärchen, Kinderschokolade, Kekse mit Schokoladenguss, alles war dabei. Beim Baby kam der Fall, ich war nun entsprechend ernüchtert, sogar noch eher. Beim Fernsehkonsum nicht viel anders. Niemals wollte ich meinen Kindern die Flimmerkiste erlauben und wenn schon, dann ganz sicher nur ein Programm, dass wir gemeinsam anschauen würden. Aber wenn man einen langen Tag mit zwei kleinen Kindern hinter sich hat, das Baby quengelt, das Kleinkind herumtobt und das Abendessen gekocht werden muss, dann sieht man manches anders und CBBies, der Kleinkindkanal des BBC, eine plötzlich verlockende Lösung.
Sicher gibt es noch mehr ehemalige Erziehungsideale, die ich im Moment vergessen habe oder von denen ich mich in der Zukunft noch verabschieden muss. Bin ich deshalb eine schlechte Mutter? Ich denke nicht. Von den ganz großen Idealen, wie z.B. meine Kinder liebevoll aufzuziehen und ihnen die Wertvorstellungen, die mir wichtig sind, vorzuleben, habe ich mich nicht verabschieden müssen. Ich bin einfach nur in der Realität angekommen. Und in dieser geht es eben nicht immer so ideal zu, wie man sich das vorher ausmalt.

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