Dienstag, 21. September 2010

Im Nanny-Staat

Heute muss ich mal Dampf ablassen. Kürzlich erzählte mir eine bekannte Mutter die folgende Geschichte: ihr einjähriger Sohn war die Treppe heruntergefallen. Voller Sorge und Schuldgefühle raste sie daraufhin in die Notaufnahme des nächsten Krankenhauses. Das Kind wurde gründlich untersucht und es wurde festgestellt, dass es sich bei dem Sturz nicht verletzt hatte. Ende der Geschichte? Oh nein. Einige Wochen später bekam die Mutter einen Anruf vom health visitor, eine Art Krankenschwester/Hebamme/Fürsorgerin, die hier Aufgaben übernehmen, für die man in Deutschland wahrscheinlich zum Kinderarzt geht, wie zum Beispiel Ernährungsfragen mit den Müttern diskutieren. Die gute Frau jedenfalls erklärte der jungen Mutter im Zusammenhang mit dem Treppensturz, dass sie ja wohl wissen müsste, dass sich kleine Kinder bewegen und dieses Mal würde man sie wohl noch nicht ans Jugendamt weiterleiten. Aber hallo??? Natürlich will ich nicht in Frage stellen, dass es wichtig und richtig ist, dass das Kindeswohl geschützt wird und dass Verdachtsmomenten zur Kindesmisshandlung nachgegangen wird. Aber doch wohl nicht ein einmaliger Unfall, der eine besorgte Mutter ins Krankenhaus getrieben hat?

Ich weiß nicht, ob das in Deutschland anders ist, aber zuweilen hat man hier den Eindruck, dass jeder, der etwas mit Kindern zu tun hat, von vornherein als Verdächtiger behandelt wird, inklusive der eigenen Eltern. Nicht umsonst wird die englische Verwaltung auch gern als der Nanny-Staat bezeichnet, weil man versucht, jeden Teil des Lebens zu kontrollieren. Besonders bei Kindern wird diese Hysterie ausgelebt und oft genug der gesunde Menschenverstand ausgeschaltet. So müssen zum Beispiel seit dem vergangenen Jahr alle Erwachsenen, die irgendwann etwas mit Kindern zu tun haben, sei es eine Buchlesung in einer Schule, sei es als Verantwortliche in einer Spielgruppe, eine Art polizeiliches Führungszeugnis vorweisen. Gibt es in England mehr Wölfe in Schafspelzen als anderswo? Ich bezweifle das.

Kürzlich ging die Geschichte von einem Ehepaar durch die Medien (interessanterweise war einer der beiden deutsch), die ihre zwei Kinder (8 und 5 Jahre) allein mit dem Fahrrad in die Schule schickten, weil sie der Meinung waren, dass ihre Kinder genügend Verantwortungsbewusstsein besaßen. Das Jugendamt wurde eingeschaltet, denn offensichtlich durfte diese Entscheidung nicht von den Eltern getroffen werden und die Kinder müssen nun auf Anordnung in die Schule begleitet werden.

Die skurrilsten Geschichten kursieren auch in Mütterkreisen von Lehrern, die die Kinder unter keinen Umständen anfassen dürfen und daher lieber riskieren, dass sich Grundschüler in Gefahr begeben, um dann mit ihnen darüber zu diskutieren, da sie ja nicht mit körperlichen Aktionen (das heißt, das Kind am Ärmel festzuhalten, bevor es aus dem Fenster springt) eingreifen dürfen. Mir ist zwar versichert worden, dass es in der Realität nicht ganz so schlimm ist, aber zur letzten Impfung mit sich heftig wehrendem Autofanatiker, erklärte mir die Krankenschwester auch sofort, dass sie ihn auf keinen Fall anfassen dürfte.

Und die Moral, die man aus der Geschichte mit dem Treppensturz ziehen kann? Lieber beim nächsten Mal nicht ins Krankenhaus gehen, um sicherzustellen, dass dem Kind auch wirklich nichts passiert ist. Und das kann ja wohl nicht sein.

1 Kommentar:

  1. Eine wirklich schreckliche Moral. Diese absolute Kontrolle bzw. der sofortige Verdacht, dass da irgendetwas nicht in Ordnung sein könnte ist furchtbar. In Deutschland scheint sich das allerdings, fürchte ich, auch immer weiter zu verbreiten. Ein Mann z.B. kommt am besten überhaupt nicht mehr in die Nähe von Kindern, man weiß ja nie *AugenRoll* und bei der kleinsten, nichtigsten Kleinigkeit wird aufgeschrieen. Und trotzdem werden immer noch zu Kinder gequält, verhungern etc. Irgendwas passt da nicht.

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