Montag, 17. März 2014

Mama, man darf nicht lügen!

Wahrscheinlich werden mir die allermeisten Eltern darin zustimmen, dass wir unsere Kinder dazu erziehen wollen, nicht zu lügen. Diesen Grundsatz habe ich natürlich auch ganz selbstverständlich schon meinen Kindern so weitergegeben. Wahrscheinlich werden mir aber die meisten ebenso zustimmen, dass es im Alltag nicht nur ein Schwarz und Weiß der Lüge oder Wahrheit gibt, sondern auch einen recht großen Graubereich. Jeder Mann wird wissen, dass es für, na sagen wir mal, Missstimmung sorgen kann, wenn Mann auf die Frage "Sieht mein Hintern in dem Kleid dick aus?" mit zu viel Ehrlichkeit antwortet.




Ich hatte gedacht, dass es noch einige Zeit dauern würde, bis ich meinen Kindern diese Feinheiten von Lüge, Wahrheit und Diplomatie auseinandersetzen müsste. Schließlich sagen sie mir jetzt noch mit kindlicher Offenheit und gänzlich ohne Gespür für weibliche Befindlichkeiten "Mama, dein Bauch ist dick." Doch der Tag, an dem ich in Erklärungsnot kommen würde, kam schon am Wochenende. Da nämlich kam Annie Bear zu uns nach Hause.


Annie Bear ist der Schulteddy, der jedes Wochenende ein anderes Kind heimsucht, ähm, besucht. An diesem Wochenende muss das Kind dann in ein Teddytagebuch eintragen, was es alles für tolle Sachen mit Annie Bear gemacht hat. Ich bin ja der Überzeugung, dass die Lehrer nur wissen wollen, was die Eltern so am Wochenende machen, aber angeblich ist der Lerneffekt gaaaanz toll. Bei allen anderen Kindern. Selbstverständlich las ich die Einträge der anderen Kinder (schließlich will ich auch wissen, was die anderen Eltern so machen). Jeder einzelne Eintrag (der im übrigen von den Eltern und nicht von den Kindern geschrieben wurde) begann mit dem Satz "Wir sind ja so aufgeregt, dass Annie Bear endlich bei uns zu Hause ist". Und dann kam eine lange Liste mit lauter Sachen, die extra mit Annie Bear gemacht wurden. Natürlich wurde dies auch noch alles fotodokumentarisch festgehalten.


Und bei uns? Wenn ich nun jetzt die ganze Wahrheit in das Teddytagebuch geschrieben hätte, dann hätte mein Eintrag so lauten müssen: "Der Mittlere war überhaupt nicht aufgeregt, dass Annie Bear uns besucht hat. Annie Bear hat das ganze Wochenende in ihren Rucksack zugebracht und keine Sau hat sich auch nur im Geringsten um sie gekümmert, weil der Mittlere absolut kein Interesse an diesem dämlichen Teddy hatte und ganz sicher nicht an die Schule erinnert werden wollte."


Konnte ich das wirklich schreiben? Nein, natürlich nicht! Also musste ich mir mit dem Mittleren eine Geschichte ausdenken (schließlich musste er es in der Schule dann vorstellen). Und als er unschuldig meinte "Aber Mama, man darf doch nicht lügen!", musste ich ihm auch noch den Unterschied von Lüge, Wahrheit und dem Anforderungen des Zusammenlebens erklären. Insofern war es vielleicht doch ein Lernerfolg in der Schule des Lebens. Danke, Annie Bear!


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